Back to the Future – Über die Verklärung unserer Erinnerungen

Manchmal erinnern wir uns nur an die schönen Dinge und verdrängen das Unangenehme. Und das ist auch gut so …

Den ganzen Urlaub lang schon bequatsche ich meine Familie, dass ich unbedingt einmal an den Strand in einem knapp 100 Kilometer entfernten Ferienort fahren möchte. Ich schwärme, das sei der schönste Strand überhaupt. Ich verspreche ihnen, sie werden es nicht bereuen. Ich war da schon einmal als Kind und fand es einfach wunderbar. Mein erster Urlaub am Mittelmeer …

Meine Familie will nicht so recht. Findet den Strand hier schön genug, aber mir zuliebe erklären sie sich schließlich bereit. Trotz Urlaubs stellen wir den Wecker, um rechtzeitig loszufahren. Als es am Morgen klingelt, muss ich mir Dinge anhören, die ich lieber nicht gehört hätte. Aber ich will mir heute die Laune nicht verderben lassen.

Die Fahrt über Landstraßen und durch unzählige Ortschaften gestaltet sich zäh. Fast zwei Stunden sind wir in sengender Hitze unterwegs. Die Laune meiner Mitfahrer sinkt auf den – nein, sie verharrt auf dem Nullpunkt. »Also der Strand muss jetzt schon sehr gut sein«, meint meine Frau, wobei so eine seltsam drohende Betonung auf dem Wort »sehr« liegt. Ihr werdet schon sehen!

Nach gefühlten weiteren zwei Stunden erreichen wir endlich unseren Zielort. Ich brilliere mit überragender Ortskenntnis, sodass der Strand bald gefunden ist. (O. K., ich geb’s zu. Ich erinnere mich nicht mehr die Bohne an den Ort. Sieht alles ganz anders aus als früher. Aber ich war schlau genug, mir gestern Abend alles bis ins Detail auf einem Satellitenbild im Internet anzusehen. Muss außer uns ja keiner wissen.)

Die meisten Parkplätze in Ufernähe sind längst belegt. Mit etwas Glück finden wir noch ein freies Plätzchen zwischen verdörrtem Gras und Mülltüten. Kaum sind wir ausgestiegen, raschelt es in einer der Mülltüten und die Konturen einer dicken Ratte werden sichtbar. Keiner sagt etwas, doch ich weiß: Game over! Jetzt kann der Strand noch so schön sein. Die Blicke meiner Familie sind versteinert. Könnt ihr das nicht mal locker sehen? Dafür erwartet uns gleich ein mega Strand. Das ist doch hier nur der Parkplatz!

Endlich nähern wir uns verschwitzt dem Wasser. »So, hier ist der Strand«, verkünde ich. Ich glaube, ich hätte besser das Wort »Ufer« verwenden sollen. Zwischen vielen Felsen und etwas unwegsamem Wildwuchs gibt es einige kleine Stellen mit groben Kieselsteinen. Das ist alles. Wer hier liegen will, muss sich schon eine Liege mitbringen. Jetzt erinnere ich mich wieder. Solche Liegen hatten meine Eltern früher auch immer dabei. Das hatte ich vollkommen vergessen. »Wie wäre es da hinten?«, schlage ich vor und deute auf eine Art Schutthalde ein Stück abseits. »Ist das dein Strand?« Meine Frau ringt nach Fassung. Mir fällt keine wirklich befriedigende Antwort ein, daher murmele ich nur etwas von »auch anders in Erinnerung« und »offenbar nicht mehr so schön wie früher«. Viel mehr wird an diesem Tag nicht mehr gesprochen. Ein Satz mit X: Das war wohl nix!

Wie ich mich so umsehe, kommt langsam die Erinnerung zurück – an den Tag, an dem mich hier die Reisekrankheit überkam. Die Erinnerung daran, dass ich panikartig hinter diese Büsche musste, angesichts meines Durchfalls. Die Erinnerung daran, dass ich das nicht mehr rechtzeitig schaffte und mich zu allem Überfluss gleichzeitig auch noch von oben bis unten vollkotzte. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre ich in diesem Moment für immer von der Erde verschwunden. Wie konnte ich das vergessen? Jetzt wo ich die Büsche wieder sehe, scheint es wie gestern. Und an einen solchen Ort kehre ich freiwillig zurück? Ich muss nicht mehr ganz bei Trost sein.

Morgen fahren wir wieder an »unseren« Strand. Manchmal ist es besser, Erinnerungen zu belassen, wie sie sind. Unser Gehirn hat irgendwie die Gabe, die unangenehmen Dinge auszublenden. Und wenn ich ehrlich bin: Oft ist das gut so.

 

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