Nur noch ein Stündchen – Über die Ausbeutung unserer selbst

Oft machen wir uns vor, ab morgen würde alles besser. Doch das ist meist nur eine Verlängerung unserer Selbstausbeutung …

Zur Zeit bin ich einmal wieder ziemlich im Stress. Alle Kunden wollen alles gleichzeitig und das sofort. Ein paar Wochen halte ich das noch durch, aber ich merke, dass dieses Spiel nicht mehr lange gut geht.

Ausgerechnet heute Abend lese ich in einer Zeitung so einen blöden Witz: Fragt der Sohn seinen Vater: »Du Papi, warum fährst du eigentlich jeden Tag zur Arbeit?« »Damit ich genug Geld verdiene.« »Wofür brauchen wir so viel Geld?« »Zum Beispiel, damit wir uns ein Auto leisten können.« »Und wofür brauchen wir ein Auto?« »Damit ich zur Arbeit fahren kann.«

Das hat gesessen. In welchem Hamsterrad laufe ich hier eigentlich und warum? Lebe ich, um zu arbeiten, oder arbeite ich, um zu leben? Vor ein paar Jahren habe ich mich selbstständig gemacht, da ich das Gefühl hatte, bei meinem Arbeitgeber ausgepresst zu werden wie eine Zitrone. Jetzt presse ich mich selbst aus. Noch stärker sogar. Schließlich läuft der Saft in die eigene Tasche. Mit allerlei miesen Tricks und Hinhalteparolen betrüge ich mich selbst um all die Dinge, die ich in meinem Leben eigentlich gerne einmal tun würde, solange ich das noch kann.

Ich mache es mit mir selbst nicht anders als viele Arbeitgeber mit ihren Angestellten. Sie schaffen die Stechuhren ab und führen »Vertrauensarbeitszeiten« ein. Sie schaffen im Büro eine künstliche Wohlfühl-Atmosphäre, in der sich Arbeitnehmer geborgen fühlen. Einige (oft amerikanische) Firmen gehen so weit, vor Ort sogar Billardtische, Flipper, gemütliche Sitzecken und eigene Fitnessstudios einzurichten. Die Mitarbeiter sollen sich wie zuhause oder wie in ihrer Freizeit fühlen. Die Grenzen zwischen Kollegen und Freunden verschwimmen. Wer braucht noch Freizeit, wenn die Arbeit zum Zuhause wird?

Durch Bildung kleiner Teams wird der soziale Druck erhöht. Je enger und freundschaftlicher die Mitarbeiter mit ihren Teamkollegen verbunden sind, desto größer wird die innere »Verpflichtung«, sie nicht hängen zu lassen, wenn die Zeit für ein Projekt einmal wieder (absichtlich) zu knapp bemessen wurde. Also hängen sich alle mächtig ins Zeug und leisten Überstunden. Oft fühlen sie sich sogar besonders geschmeichelt dabei, eine so wichtige Rolle in ihrem Team spielen zu dürfen, und sie glauben, unersetzlich zu sein. Wer nicht mitspielt, gilt als »nicht teamfähig«. Das kommt nicht gut an bei der nächsten Bewerbung …

Um dennoch ein bisschen echte Freizeit zu retten, mache ich es wie viele: Ich betrüge mich um den Schlaf. Das zehrt auf Dauer an der Gesundheit und zermürbt irgendwann so sehr, dass ich gar keine Kraft mehr habe, mich aus dieser Tretmühle zu befreien. Auch heute geht es mir wieder so. Ich habe jetzt so lange gearbeitet, da möchte ich mir noch ein Stündchen Entspannung gönnen. Das habe ich mir schließlich verdient, oder? Müde wanke ich vor den Fernseher. Meine Batterien sind leer. Mein Körper möchte die Reserven so schnell wie möglich wieder aufladen. Meine Güte bin ich hungrig! Etwas Süßes muss her. Also stehe ich wieder auf und hole mir noch eine Packung Schokokekse und etwas zu trinken. Mit dem Essen kommt der Appetit. Es dauert nicht lange, dann möchte ich statt der Kekse noch ein Wurstbrötchen. Und ein Käsebrötchen. Und einen Pudding. Und etwas Schokolade. Und noch die anderen Kekse. Und gegen das schlechte Gewissen noch ein wenig Obst. Und noch etwas Mayonnaise zum Nachtisch. Nur zum Probieren. Das schmeckt gut! Nur ein ganz klein wenig noch.

Weil ich das Spielchen schon kenne, lasse ich das Licht zwischen meinen Besuchen in der Küche gleich brennen. Statt mich wie geplant auszuruhen, renne ich jetzt wie ein aufgescheuchtes Masthähnchen zwischen Sessel und Kühlschrank hin und her.

Aus dem geplanten Stündchen vor dem Fernseher werden schließlich zwei. Ich komme schon wieder zu spät ins Bett. Aber jetzt ist mein Körper dermaßen gut mit Nährstoffen versorgt, dass ich ohnehin wieder fit bin. An Schlafen ist kaum mehr zu denken. Ob ich noch ein Stündchen arbeiten soll? Nein, das wäre dann doch zu krass. Aber mein Kopfkino läuft noch lange weiter. Die Nacht wird kurz.

Ab morgen wird alles besser! Ich werde weniger arbeiten, weniger essen und früher ins Bett gehen. Na ja, vielleicht noch nicht ganz ab morgen, aber ab nächster Woche. Nein, nächste Woche muss ich noch dieses Projekt fertigstellen, aber ab dem ersten Dezember dann. Das wäre doch ein guter Start! Allerdings: Dezember ist schlecht, so kurz vor Weihnachten drängt sich immer alles. Und dann kommen eh die ganzen Feiertage. Also ab Januar. Das ist gut! Wobei … Also, ich nehme mir das ganz fest vor!

 

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