Angstmacher – Über Poster in Wartezimmern

In Wartezimmern von Ärzten erzeugen Poster zu diversen Krankheiten nicht unbedingt eine Wohlfühlatmosphäre …

Übermorgen muss ich geschäftlich nach London fliegen. Eine große Konferenz, auf der ich auch einen Vortrag halten soll. Ich bin schon ziemlich nervös. Ausgerechnet jetzt, oder vielleicht gerade deswegen, meldet sich mein juckendes Ekzem auf den Augenlidern wieder, das mich ab und an plagt. Ich muss unbedingt noch zum Hautarzt, sonst sehe ich in ein paar Tagen aus wie ein Zombie.

Im Wartezimmer brauche ich Geduld. Mein Blick schweift die glatten, elfenbeinweißen Wände entlang. Überall hängen Bilder ungut aussehender, dunkler und roter Hautflecken. »Hautkrebs«, »Melanom«, »bösartig« steht unübersehbar groß daneben. Wie ein Damoklesschwert hängen die Bilder über den Köpfen der wartenden Patienten und werben für diverse Vorsorgeuntersuchungen. In anderen Arztpraxen ist es ähnlich. Dort sind es dann Brustkrebs, Prostatakrebs oder Darmkrebs. Mir wird unwohl. War ich in meinem Leben nicht auch schon viel an der Sonne? Zu viel? Habe ich nicht auch diverse Pigmentflecke? Eine Spirale unangenehmer Gedanken kommt in Gang. Eigentlich juckt es mich nur auf den Augen, ab jetzt sitze ich hier und durchlebe in Gedanken gleich mehrere Tode. Nur wegen dieser Bilder. Warum hängen die eigentlich wirklich hier? Bei näherem Hinsehen stammen sie alle von irgendwelchen Pharmaunternehmen. Sollen die Bilder aufklären, Angst machen, das Geschäft ankurbeln? Ich kann diese Frage für mich nicht abschließend beantworten. Vielleicht von allem ein bisschen.

Ich muss an meinen bevorstehenden Flug denken. Wäre das nicht irgendwie so, als würde man im Flughafen Bilder typischer Flugzeugabstürze aufhängen? Vielleicht dazu sogar noch den Abschluss einer Lebensversicherung anbieten? Nein, das lässt sich nicht direkt vergleichen, aber ein Geschäft mit der Angst ist irgendwie beides. Und durchaus eine Medaille mit zwei Seiten. Beispiel Mammografie: Inzwischen bezweifeln viele Experten deren Nutzen, denn statistisch betrachtet haben die Untersuchungen nicht nachweisbar maßgeblich die Sterblichkeit verringern können. Demgegenüber stehen aber viele Fälle, in denen Frauen durch anfänglich falsche Diagnosen in tiefe Ängste gestürzt oder sogar überflüssigerweise behandelt wurden. Auch über die negativen Auswirkungen auf eigentlich gesunde Frauen ist wenig bekannt, schließlich ist mit der Untersuchung eine Strahlenbelastung verbunden. Außerdem: Wer sucht, der findet. Das heißt aber nicht, dass eine Frau, bei der es tatsächlich Tumorzellen gibt, auch an diesen gestorben wäre. Vielleicht hätte es noch lange gedauert, bis sich der Krebs ausgebreitet hätte. Länger jedenfalls, als bis die Frau an einer anderen Todesursache stirbt.

Aber das ist Statistik und eine sehr schwere Entscheidung, die jeder im Einzelfall für sich selbst treffen muss. Nur sollten wir uns dabei keine Angst von solchen Plakaten machen lassen, denn Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und wir sollten eine Sache immer aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten.

Auf dem Heimweg nehme ich mir im Supermarkt gleich noch etwas frisches Obst mit. Wie sagen die Engländer so schön: »An apple a day keeps the doctor away.« (Deutsch: Ein Apfel täglich hält den Arzt fern.)

Da sehen Sie’s: Mit »keine Angst machen lassen« ist es nicht so leicht. Ja, ich geb’s zu: meine ist ziemlich groß.

 

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