Sale im Outlet – Über den Besuch eines Fabrikverkaufs und die neudeutsche Sprache

Lohnt sich der Besuch eines Fabrikverkaufs (Factory-Outlets)? Vom Unterhaltungswert her teilweise sicherlich, von der Ersparnis her eher selten …

Während ich schier endlos an dieser Ampel stehe und auf Grün warte, fällt mein Blick auf eine Plakatwand, die sicherlich nicht ganz zufällig genau hier platziert wurde. Zu sehen ist die Werbung für den »Factory Outlet Store« eines großen Sportartikelherstellers in der Nähe. Dort sei jetzt »Mid-Season-Sale«. Ich muss grinsen. Als ob das neudeutsche Modewort »Sale« nicht schon affig genug wäre. Nein, wenn es noch zu früh für den Winter- oder Sommer-Schlussverkauf ist, macht man halt »Mid-Season-Sale«: Jahreszeitenmitteverkauf. Aber die Werbung tut dennoch ihre Wirkung und erinnert mich daran, dass ich seit einiger Zeit dringend neue Laufschuhe brauche, sowie auch noch einiges andere an Sportbekleidung.

Zwei Tage später sagt ein Kunde überraschend ein Projekt ab und ich habe plötzlich unvermittelt Zeit. Da fallen mir meine fehlenden Laufschuhe und der Mid-Season-Sale wieder ein. Wäre das nicht einmal ein Anlass für einen Ausflug ins Schnäppchen-Paradies? Also nichts wie los.

Auf dem Parkplatz angekommen, staune ich nicht schlecht. Kaum eine Parklücke ist noch frei. Daran, dass zur Zeit Schulferien sind, hatte ich gar nicht gedacht. Aus ganz Deutschland und sogar aus dem nahen Ausland stehen hier Autos. Eiligen Schrittes eilen ganze Horden kaufgeiler (sorry, aber dieses Wort ist einfach das Einzige, das es trifft) Menschen in Richtung Eingang. Vorbei an riesigen Fahnen mit den Aufschriften »Men Outlet«, »Women Outlet« und »Kids Outlet«. Bisher dachte ich immer, das »Kids Outlet« wäre die Entbindungsstation unserer örtlichen Frauenklinik. Aber nun gut, man lernt nie aus.

Immer schneller werden die Leute, je näher sie dem Eingang kommen. Als könnten sie auf den letzten Metern noch etwas verpassen. Als würde ihnen gerade in diesem Moment jemand ihr erhofftes Schnäppchen vor der Nase wegschnappen.

An der großen Drehtür am Eingang herrscht Gedränge. Ständig stockt die Tür, da sich zu viele Menschen auf einmal hindurchdrängen wollen. Ein älterer Mann schubst einen etwa zwölfjährigen Jungen rabiat zur Seite. Der Vater des Jungen protestiert, der ältere Mann poltert zurück, die Mutter beschwichtigt und die kleine Schwester beginnt zu weinen. Alle anderen laufen ungerührt vorbei. Wo bin ich hier nur hineingeraten?

Im Inneren setzt sich die leicht aufgeladene Atmosphäre fort. Unzählige Dinge werden eilig aus den Regalen gezogen und an irgendeiner anderen Stelle wieder zurückgestopft. Eine Vielzahl von Mitarbeitern bemüht sich nach Kräften, das Chaos in Grenzen zu halten, aber es scheint wie der Kampf gegen Windmühlen.

Was bleibt mir übrig? Notgedrungen stürze auch ich mich ins Getümmel. »Final Sale«, verkünden große Schilder. Ich dachte, es sei »Mid-Season Sale«. Egal. Hauptsache »Sale«. Wo nur gibt es Laufschuhe? Ich unterbreche eine der Mitarbeiterinnen bei ihrer Aufräumaktion: »Entschuldigung, wo bitte finde ich denn Laufschuhe?« Laufschuhe? Wo gibt es denn noch so was? »Die Running-Schuhe sind da hinten in der Runners World. Auf Level 2. Die Treppe hoch«. Aha also upstairs sozusagen. »Men’s Running ist ganz hinten.« Fast hätte ich auf Englisch geantwortet: »Oh, thank you Miss.« Aber ich bleibe dann doch beim schnöden »Aha. Danke.«

In meiner Kindheit hieß »Running« noch »Dauerlauf« und war ziemlich uncool. Ich jedenfalls habe ihn gehasst. Kein Wunder: Damals keuchten wir auch noch schwitzend über den Waldweg. Heute performe ich bei meinen Workouts auf einem Trail. Das kommt ungleich besser. Und falls ich mal overpace, warnt mich meine Pulse-Control, und der Energy-Bar in meinem Windstopper-Jacket gibt mir wieder Power. Für meine Work-Life-Balance ist dieses Hobby einfach zu einem der Essentials geworden.

Der Weg führt mich vorbei an »Infants«, »Men’s Training« und »Men’s Outdoor« auf Level 2. Dort angekommen staune ich nicht schlecht. Uiuiui. Die Auswahl ist groß. Nur leider sind ausgerechnet in meiner Größe schon reichlich Lücken im Regal. Ich hätte eben auch schneller vom Parkplatz herlaufen und nicht so herumtrödeln sollen. Aber über dem Regal finde ich einen Hinweis, dass am »Shoe-Counter« die Schuhe auch noch in anderen Größen erhältlich seien. Nach einiger Zeit und diversen Besuchen am besagten Shoe-Counter finde ich auch tatsächlich brauchbare Schuhe zu einem guten Preis. Nicht unbedingt die ultimativen Schuhe für jeden Tag, aber zumindest für zwischendurch zum Abwechseln mal.

Jetzt noch zur Bekleidung. Eine lange Laufhose, eine kurzes Oberteil und Socken. Hier heißt das dann vermutlich Tights, Shirts und Socks. Bingo! Nach einiger Zeit werde ich fündig. Mit diversen Tights und Shirts unterm Arm mache ich mich auf zu den Umkleidekabinen. »Fitting Rooms« steht groß darüber. Habe ich das verdient? Vor den Kabinen, Pardon, Fitting Rooms, hat sich schon eine Warteschlange gebildet. Es ist heiß, und es stinkt. Argwöhnisch blicke ich auf ein kleines Kind, das in einem Sportwagen (wie passend) neben dem Eingang zu den Umkleiden brav auf seine Eltern wartet. Die Windeln dieses Kindes müssen aber auch so was von voll sein, dass ich die Eltern nicht um das beneide, was da auf sie zukommt.

Zum Glück ist die Wartezeit kürzer als befürchtet. Sind ja alle sportlich hier. Bei den Teilen, die ich probiere, ist tatsächlich etwas dabei. Fertig! Was für ein Glücksgefühl. Ach nein. Mist. Doch noch nicht fertig. Die Socken habe ich noch vergessen. Wenigstens keine Anprobe mehr, aber auch hier ist die Wahl der Qual groß. Was soll ich nur nehmen? Quarter-Socken, Ankle-Socken, Low-Tab-Socken oder Short-Socken? Indoor-Socken oder Outdoor-Socken? Coolmesh-Socken oder Cotton-Socken? Dynamic, Lightweight, Hyperlite oder Essential? Air, Cushion, Non-Cushion oder Half-Cushioned? Compressed, Non-Compressed oder Stabilizing? Performance-Socken, Protection-Socken, Sensitive-Socken oder einfach nur Running-Socken? Ich glaube, ich geb auf. Ich will jetzt nur noch raus hier. Die blöden Dinger können mich mal.

Also gut, auf zur Checkout-Zone. Vorbei an allerhand Kleinkram, wie Running Laces, Performance Wallets, MP3-Pockets und Wristbändern in Stretch-Qualität. Sogar Deo-Roll-Ons gibt es hier. Klar, »for Men« und »for Women«. Außerdem Waistpacks zum Transport des ganzen Plunders. Hey Folks, ihr seid einfach crazy. Why don’t you just speak fucking German?

Beim Bezahlen erhalte ich noch einen Gutschein (sorry: Voucher) für meinen nächsten Einkauf. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mir das hier noch einmal geben werde. Ich ziehe Bilanz des heutigen Tages. Auf der Kostenseite stehen rund 2 Stunden Fahrzeit, die ich auch angenehmer hätte verbringen können. Außerdem bin ich knapp 100 Kilometer gefahren. Bei realistischen Fahrtkosten von ca. 35 Cent pro Kilometer macht das 35 Euro. Die muss ich durch die Preisersparnis gegenüber einem anderen Geschäft erst einmal »erwirtschaften«, bevor ich überhaupt in die Gewinnzone komme.

Hätte ich die Sachen in einem Geschäft bei mir vor Ort gekauft, hätte ich deutlich mehr bezahlt. Von daher habe ich meine Fahrtkosten vermutlich wieder drin. Allerdings hätte ich dann vielleicht Artikel ganz anderer Hersteller genommen, die ohnehin günstiger oder besser gewesen wären. Von daher ist eine abschließende Bilanz schwierig.

Die Ernüchterung kommt dann aber zuhause bei einem Blick in eine Preissuchmaschine im Internet: Die Schuhe hätte ich da sogar noch günstiger bekommen. Die Klamotten nicht, aber der Unterschied ist minimal. Meine Fahrtkosten wiegt das nicht auf. Wie auch immer: Wenigstens habe ich jetzt wieder neue Schuhe und meinem morgigen Workout (äh – Dauerlauf) steht nichts mehr im Wege.

Nachtrag: Inzwischen habe ich die ersten Runden mit den neuen Sachen gedreht. Na ja. Teils ganz O. K., teils wohl eher für die Abteilung »Ersatzkleidung«. Ich hätte mich nicht von den günstigen Preisen verführen lassen, sondern nur das nehmen sollen, was auch hundertprozentig stimmte. Wieder mal Lehrgeld bezahlt. Wie heißt es so schön: Wer billig kauft, kauft zweimal. Oder wie es meine Frau ausdrückt: Gier frisst Hirn.

 

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