Bildanalyse – Über trickreiche Preisangaben

Durch eine geschickte grafische Gestaltung von Preisangaben können Produkte viel billiger erscheinen, als sie es in Wahrheit sind …

Jede Woche sieht mich meine Frau schief an, wenn ich einen Stapel Papier aus dem Briefkasten ziehe, auf dem sich ein ganzes Telefonbuch oder drei Liebesromane drucken ließen. Ich solle endlich ein Schild »Keine Werbung!« an unserem Briefkasten anbringen, meint sie. Dann aber würden mir solche Highlights wie das folgende entgehen. Es stammt aus der Werbebeilage eines Spezialgeschäfts für Sitzmöbel. In diesem Prospekt sind alle Preisangaben ungefähr so dargestellt (Bild nachgezeichnet mit originalen Preisangaben und »Tippfehlern«):

Trickreiche Preisangabe

Erst blättere ich einfach darüber hinweg, dann aber werde ich doch stutzig. 249,- Euro? Da haben wir aber für unser Sofa woanders deutlich mehr bezahlt. Ärgerlich! Jetzt sehe ich genauer hin, und ich soll so schnell aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Ich beschäftige mich auch beruflich ein wenig mit grafischer Gestaltung und mir wird klar: Hier sitze ich vor einem Meisterwerk. Ein brillantes Stück manipulativer Bildgestaltung.

Lassen auch Sie dieses Meisterwerk einmal kurz auf sich wirken.

Was uns der Künstler mit diesem Bild suggerieren möchte, ist noch leicht zu erraten: Dass das Sofa 249 Euro kostet, obwohl der Preis eigentlich bei 489 Euro liegt (immerhin doppelt so viel). Dadurch wird zweierlei erzielt: Erstens: Wir sehen hin und interessieren uns für das Sofa. Manchem wird es dann so gut gefallen, dass er es auch für 498 Euro kauft. Bei mir hat das mit dem Hingucker auch geklappt. Zweitens: Die Preise wirken ganz allgemein besonders günstig. Bei uns bleibt auf Dauer hängen, dass dieses Geschäft günstige Preise hat. Wenn wir dann irgendwann einmal ein Sofa brauchen, gehen wir hin und kaufen. Wir »wissen« ja, dass die Preise dort günstig sind.

Das wirklich Interessante an diesem Bild aber ist nicht seine Botschaft, sondern die Technik, mit der es diese Botschaft vermittelt. Sehen Sie sich das Meisterwerk noch einmal an:

  • Das rechte rechteckige Feld ist dunkler als das linke Feld. Damit wird der Blick des Betrachters automatisch auf den rechts groß angegebenen Preis gelenkt.
  • Auch die Tatsache, dass das rechte Feld größer als das linke Feld ist, zieht den Blick verstärkt auf sich.
  • Die Zahl 249 steht leicht höher als die Zahl 498. Wieder ein subtiler Blickfang.
  • Das Wort »Jetzt« steht bei der 249, nicht bei der 498. Dabei gelten beide Preise »jetzt«. Da aber der Zusatz »Jetzt« bei der 249 steht, wirkt es als sei dies der einzig gültige Preis.
  • OHNE ZINSEN ist in Großbuchstaben geschrieben. Denn das wirkt positiv und soll daher deutlich erkennbar sein.
  • Nicht erkennbar sein soll jedoch, dass es hier nur um ein bestimmtes Zahlungsmodell geht. Deshalb hat sich im Wort »möglichkeit« oberhalb der Box ein kleiner Tippfehler eingeschlichen und das große »M« wurde mit einem kleinen »m« vertauscht. Zufälligerweise ist das im gesamten Prospekt vor dem Druck niemandem aufgefallen, und im vorherigen Prospekt auch nicht und im nächsten Prospekt – na Sie wissen schon … Arbeiten hier lauter Legastheniker? Dafür ist aber das Wort »Jetzt« groß geschrieben.
  • Wie das Leben so spielt, hat der Grafiker im Text »Ihre möglichkeit« außerdem noch eine etwas kleinere und etwas dünnere Schrift erwischt als im Text »Statt 1295«. Zufälle gibt’s!

Kompliment. Das ist wirklich ganz großes Kino. Aber ich weiß nicht, ob ich bei euch ein Sofa kaufen möchte, wenn ihr die Kunden schon in euren Werbeprospekten so über den Tisch zieht.

Nachtrag: Spaßeshalber weise ich die Firma einmal per E-Mail und per Fax auf ihren »Tippfehler« hin. Natürlich kommt keine Reaktion. Aber es juckt mich, und ich beschließe, dem Geschäft einmal einen Besuch abzustatten und der Sache aus Kundensicht ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Ich stecke den Prospekt in meine Jackentasche und ziehe los. Ich bin gespannt, was mich erwartet.

Es ist Samstagnachmittag – ziemlich viel Kundschaft im Laden. Alle Verkäufer sind beschäftigt, sodass ich mich erst einmal in Ruhe umsehen kann. Im Geschäft stehen reichlich Sofas. Die aus dem Werbeprospekt sehe ich nirgends – zumindest nicht in den dort abgebildeten Farben und Zusammenstellungen. Das scheint Absicht zu sein. Vermutlich will man in erster Linie auch nicht diese Modelle verkaufen, sondern ganz andere, bei denen die Gewinnspanne größer ist.

Endlich sehe ich einen freien Verkäufer. Vielleicht kann der mir die Sachen aus dem Prospekt zeigen. Ich sage, ich würde mich für ein bestimmtes Modell aus dem Prospekt interessieren. Ob ich mir das einmal ansehen könne. »Selbstverständlich. Das steht da hinten am Fenster. Hat nur eine andere Farbe als im Prospekt.« Aha. Also gaaanz hinten. Dieses Sofa war mir vorhin schon aufgefallen. Es war von der Qualität her irgendwie besser als die anderen Sofas, aber auch ziemlich teuer. Allerdings sieht die Anordnung der Nähte bei diesem Sofa anders aus als auf dem Foto im Prospekt. Ich hake deshalb nach und sage zum Verkäufer: »Das Sofa habe ich vorhin schon gesehen. Die Nähte unten sehen aber anders aus als auf dem Bild.« »Oh, Sie haben recht!« Der Verkäufer tut erstaunt und fragt einen Kollegen, der auf ein anderes Sofa deutet. Das sieht fast genauso aus, ist von der Polsterung und Verarbeitung her jedoch deutlich schlechter und vermutlich deshalb auch billiger. Preis steht keiner dran.

Ich ziehe abermals den Prospekt aus meiner Tasche. »Den angegebenen Preis muss ich dann wohl verdoppeln?«, frage ich geradeheraus den Verkäufer. Er scheint eine halbe Sekunde nachzudenken, wie er reagieren soll, dann schaut er mich verdutzt an: »Sie haben das verstanden!«, sagt er anerkennend. Die meisten Kunden würden das nicht verstehen, er wisse gar nicht, warum. Das macht er schon sehr professionell: Leitet meine unterschwellige Kritik geschickt in ein Kompliment um und schafft dadurch wieder eine positive Atmosphäre. Aber ich bin heute schließlich nicht zum Süßholzraspeln hier. Ich sage ihm direkt ins Gesicht, dass ich mich durch solcherlei Angaben schon etwas – Entschuldigung – »verarscht« fühle. Er tut fassungslos. Er könne gar nicht verstehen, was das Problem sei. Es stünde doch alles klar da. »Aber wenn es die meisten Kunden doch nicht verstehen, wie Sie selbst sagen«, entgegne ich, »dann ist es nicht klar«. Darauf hat er keine Antwort. Dieser Einwand war in seiner Verkäuferschulung offenbar nicht vorgesehen.

Ich frage pro forma noch, ob es das Modell, wie im Prospekt angegeben, auch in schwarzer Farbe gebe und wie lange die Lieferzeit sei. »Ja klar. Können Sie auch in Schwarz bekommen.« »Und haben Sie das da?« »Nein, nicht in Schwarz. Das müssten wir bestellen.« »Und wie lange ist dann die Lieferzeit?«, bohre ich nun zum dritten Mal nach. »Nicht lange. So vier bis sechs Wochen.« Jetzt gebe ich dem guten Mann den Rest: »Aber in Ihrem Prospekt steht doch, »Alle Modelle ab Lager?« »Aber dieses Modell ist nicht auf Lager«, entgegnet er merklich genervt. Ein junges Paar setzt sich auf ein Sofa neben uns. »Haben Sie schon etwas gefunden, kann ich Ihnen helfen?« So schnell wurde ich noch keinen Verkäufer wieder los.

Wieder zuhause, juckt mich die Sache noch immer. Erst jetzt komme ich auf die Idee, einmal nachzusehen, ob ich im Internet noch etwas über die Firma finde. Und ob ich was finde! Jede Menge fast durchweg negativer und erboster Erfahrungsberichte. Interessant ist nicht nur die große Anzahl der Berichte, sondern auch die Tatsache, dass viele davon ellenlang sind. Wer sich so viel Arbeit macht, seinen Frust von der Seele zu schreiben, bei dem müssen die Emotionen schon hoch kochen. Viele der Schreiber bereuen bitterlich, sich nicht schon vor dem Kauf über ihren Geschäftspartner informiert zu haben. Wäre ich ein echter Kunde gewesen, hätte ich vermutlich genau denselben Fehler auch gemacht. Bei einer Anschaffung im Wert von mehreren Hundert oder gar Tausend Euro grob fährlässig.

In den Berichten ist von teils horrend langen Lieferzeiten die Rede. Nicht nur vier oder sechs Wochen, sondern bis zu einem halben Jahr. Entsprechende Klauseln im Kleingedruckten der Kaufverträge machen es offenbar möglich. Die Qualität der Sitzmöbel soll teilweise unterirdisch sein, Nachbesserungen – wenn überhaupt – nur stümperhaft ausgeführt werden. Auch gibt es Beschwerden, die Beschaffenheit der gelieferten Ware entspreche nicht immer dem im Laden Gesehenen. Vermutlich wurde diesen Kunden auch einfach ein besseres Modell vorgeführt, als das, das sie gekauft haben. Von Löchern im Leder ist die Rede, davon, dass nur ein Teil des Bezugs überhaupt aus Leder besteht, von abfärbenden Bezügen, von Flecken, von chemisch riechenden Ausdünstungen und von schon nach wenigen Wochen durchgesessenen Polstern. Außerdem seien die in den Prospekten abgebildeten Produkte teilweise überhaupt nicht zu bekommen und reine Lockvogelangebote. Da hätte ich mit meinem Sofa ja noch richtig Glück gehabt!

Bei Kunden, die nicht, wie ich, nach einem bestimmten Modell fragen, ist die Masche der Verkäufer immer dieselbe: Sie führen die Kunden zu einem möglichst teuren Produkt, nennen einen vollkommen überzogenen Mondpreis und gewähren dann von diesem ausgehend großzügige »Rabatte«. Zwischendurch telefonieren sie angeblich sogar mit der Zentrale oder mit dem Hersteller und geben vor, nach weiteren Preisnachlässen zu fragen  oder ob ein angeblich auslaufendes Modell nicht doch noch einmal produziert werden könne oder irgendwo noch auf Lager sei. Nach dem »Telefonat« kehren sie freudestrahlend mit einem angeblich unschlagbaren Angebot zurück, man müsse sich nur gleich entscheiden und zugreifen.

Den Forumsberichten nach haben die tatsächlich bezahlten Preise mit den in den Prospekten abgedruckten Preisen etwa so viel zu tun wie der Storch mit dem Kinderkriegen. Während man den Prospekt nach den Eindruck gewinnt, eine größere Couchgarnitur sei für rund 500 bis 1.000 Euro zu haben, zahlen die meisten Kunden entsprechend ihrer Berichte rund 1.500 bis über 2.000 Euro.

Für die Ratenzahlung schließlich (erinnern Sie sich an die Preisangabe im Prospekt?) wird den Kunden gerne noch im Kaufvertrag eine zusätzliche Versicherung mit untergejubelt. Es kann wohl schon mal passieren, dass da »versehentlich« das entsprechende Kästchen angekreuzt ist. Auch auf die gesonderten Lieferkosten per Spedition (rund 100 Euro) wird vielfach »vergessen« hinzuweisen. Abgerundet wird das Gesamtbild dadurch, dass man im Reklamationsfall mit besonders netten und zuvorkommenden Mitarbeitern rechnen darf.

 

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