Zimmer mit Aussicht – Über die Wahrheit in Reisekatalogen

In Reisekatalogen und auf Online-Portalen klingen die Beschreibungen und Angaben zu Hotels immer positiv. Um böse Überraschungen zu vermeiden, müssen wir zwischen den Zeilen lesen …

Wer von uns kam nur auf die Idee, ausgerechnet auf der griechischen Insel Kleitoris Urlaub zu machen, jener Insel, nach deren Hügel schon in der Antike das weibliche Lustzentrum benannt wurde. Jetzt sitze ich hier auf genau diesem Hügel in einem kleinen, heißen, lauten, stickigen und schmutzigen Hotelzimmer mit Meerblick und finde das alles andere als lustvoll. Wie konnten wir nur so bescheuert sein, ein Hotel inmitten des Hauptorts zu buchen? Schön, ich sehe das Meer: nur leider tief unter uns und seeehr weit weg. Wie wir dort jemals hingelangen sollen, ist mir ein Rätsel. Dies geht höchstens mit dem Bus oder Taxi.

Und all das, weil wir ein paar Euro sparen wollten. O. K. – weil ich ein paar Euro sparen wollte. Ich solle mich nicht wundern, muss ich mir jetzt anhören, man bekomme eben das, was man bereit ist, zu bezahlen. Und dann grinsen mich meine Frau und mein Sohn auch noch hämisch an. Mir für meinen Teil ist jetzt gar nicht nach Grinsen zumute. Es hatte sich alles so gut angehört: In einem »belebten, aufstrebenden Ort« sollte das Hotel liegen und ein echter Geheimtipp sein. Jetzt wünschte ich, es wäre auch ein Geheimtipp geblieben. Die »zentrale Lage« des Hotels wurde hervorgehoben. Prima, dachte ich, dann können wir Geschäfte und Restaurants bequem zu Fuß erreichen. Im Geiste sah ich uns schon gemütlich durch die Gassen eines romantischen alten Städtchens bummeln. Jetzt liegt unser Hotel zentral zwischen drei Hauptverkehrsstraßen. Nur 15 Minuten sollte das Meer entfernt sein. Tja, per Bus oder Taxi vielleicht, spät nach Mitternacht, wenn die Straßen nicht mehr verstopft sind. Dann sind wir nach 15 Minuten vielleicht gerade mal am Hafen. Ist ja auch Meer. Keine Ahnung, ob es hier überhaupt einen Strand gibt. Inzwischen bin ich da skeptisch. Warum hatte ich mich nur auf die paar guten Bewertungen des Hotels im Internet verlassen? Die waren sicher gefälscht. Alles Nepp, alles Scheiße. Zum Heulen, zum Schreien! Nicht einmal auf eine Landkarte hatte ich geschaut, wo das Hotel denn liegt. Sonst sehe ich mir so etwas immer haarklein auf Satellitenbildern an. Aber diesmal: Nein! Nur weil ich etwas im Stress war. Jetzt habe ich hier noch viel mehr Stress.

Einziger Ausweg: Wir brauchen einen Mietwagen. Dann können wir uns wenigstens tagsüber vielleicht irgendwo ein paar schöne Stunden machen. Aber das wird schwierig, jetzt in der Hauptsaison. Und es wird teuer. Verdammt! Hätten wir gleich ein paar Euro mehr ausgegeben, säßen wir jetzt bei einem kühlen Drink in einem hübschen Hotel am Strand. Bräuchten keinen Mietwagen. Müssten nicht stundenlang zum Strand fahren. Müssten nicht nach einem Parkplatz suchen. Nie mehr fahre ich in Urlaub. Nie!

»Jetzt packen wir mal ein paar Badesachen ein und schauen, ob wir einen Bus oder Mietwagen finden«, sage ich mit leicht resignierter Stimme. Es gibt keinen Widerspruch, also ziehen wir los. Von außen sieht das Hotel richtig klein und schäbig aus. Auf den Fotos im Katalog schien es viel stattlicher. Offenbar waren die Bilder alle mit einem Weitwinkelobjektiv aufgenommen oder nachträglich am Computer retouchiert worden. Und an das halb zerfallene Haus links und die Bar mit den roten Lichtern rechts kann ich mich auch nicht erinnern. Da war das Bild bestimmt abgeschnitten gewesen. Am Rande des Rotlichtviertels wollte ich eigentlich keinen Familienurlaub machen. Da hinten hängen schon einige zwielichtige Gestalten rum. Plötzlich packt mich etwas an der Schulter. Ich zucke zusammen, kralle meinen Rucksack fest und hole zum Schlag aus.

»Wollen wir nicht mal aufstehen?« Meine Frau zieht an meinem Kopfkissen. »Wir möchten doch heute auf den Eiffelturm – auch wenn es gestern spät war in Pigalle.« Häh? Langsam öffne ich die Augen. Durch das offene Fenster dringt Verkehrslärm. Hupende Autos. Lachende Kinder. Presslufthämmer von einer nahen Baustelle. Paris. Meine Güte, wir sind ja in Paris und unser Sohn bei den Großeltern! Stimmt, wir haben extra ein Hotel in zentraler, verkehrsgünstiger Lage gebucht. Tausend interessante Dinge warten schon auf uns in nächster Nähe.

»Ja, ich steh gleich auf.« Erleichtert lockere ich den Griff um mein Kopfkissen.

Paris, je t’aime!

Nachtrag: Da ich im richtigen Leben keine Lust auf Erlebnisse ähnlich der aus meinem Traum habe, habe ich mich einmal über die wichtigsten Formulierungsfallen informiert, wie sie in Reiseangeboten häufig vorkommen. Nicht nur in Katalogen, sondern auch im Internet.

  • »Direktflug« – Ein »Direktflug« ist etwas anderes als ein »Nonstop-Flug« und bedeutet nur, dass man das Flugzeug nicht wechseln muss. Zwischenlandungen sind dennoch möglich.
  • »aufstrebender Ferienort« – Bedeutet viele Baustellen; Infrastruktur und Geschäfte fehlen oft noch.
  • »ruhige, idyllische, romantische Lage« oder »Hotel in Alleinlage« – Das bedeutet, dass sich dort Hase und Igel Gute Nacht sagen. Allein auf weiter Flur.
  • »zentrale, verkehrsgünstige Lage« – Das kennen wir inzwischen ja schon: Hauptstraße, Verkehrslärm, lautes Nachtleben.
  • »kurzer Transfer zum Flughafen« – Wo der Flughafen nicht weit ist, darf man sich über Fluglärm nicht wundern. Gerne mal direkt in der Einflugschneise gelegen.
  • »Meerblick« – Heißt nur, dass etwas vom Meer zu sehen ist. Viel muss das nicht sein.
  • »zur Meerseite gelegen« – Bedeutet nicht unbedingt Meerblick. Da können durchaus noch andere Gebäude dazwischen stehen.
  • »15 Minuten bis zum Meer« – Kennen wir auch schon. Können auch 15 Autominuten sein. Von »zu Fuß« hat keiner gesprochen. Außerdem sind die Zeiten fast immer äußerst »ehrgeizig« bemessen.
  • »direkt am Meer gelegen« – Auch das muss nicht bedeuten, dass man hier baden kann. Hafen und Steilküste liegen auch direkt am Meer. »Direkt am Badestrand« wäre etwas anderes.
  • »Strandnähe« – Das ist ein sehr dehnbarer Begriff: Was der Veranstalter als nah empfindet, kann mir sehr weit vorkommen.
  • »Panoramablick« – Solch ein ungestörter Blick ist meist nur gegeben, wenn das Hotel auf einer Anhöhe liegt. Das wiederum bedeutet: Der Weg zum Meer (und oft auch in den Ortskern) ist mühsam und weit.
  • »neu eröffnetes Hotel« oder »neue Anlage« – Zeit ist Geld. So manches Hotel wird daher schon teileröffnet, während Außenanlagen oder Teile des Gebäudes noch Baustelle sind.
  • »Hotel, das sich seine Ursprünglichkeit bewahrt hat« – Kann renovierungsbedürftig sein. Eventuell ist es die einzige Bruchbude zwischen lauter schicken neuen Hotels.
  • »landestypische Einrichtung« oder »zweckmäßige Einrichtung« – Umschriebt eine einfache Ausstattung.
  • »besonders für junge Leute geeignet« oder »internationale Atmosphäre« – Bedeutet laute Gäste.
  • »klimatisierbare Zimmer«– Hier ist anders als bei »klimatisierten Zimmern« die Klimaanlage nicht unbedingt auch eingeschaltet.
  • »beheizbarer Swimmingpool« – Ganz ähnlich wie bei den klimatisierbaren Zimmern: Ein »beheizbarer Swimmingpool« und ein »beheizter Swimmingpool« können sich ziemlich unterschiedlich anfühlen. Und selbst ein »beheizter« Pool sagt noch nichts über die Temperatur, auf die er aufgeheizt wird.
  • »Naturstrand« – Ein Naturstrand ist ein Strand, an dem der Mensch nicht eingreift. Das kann wunderschön sein, kann aber auch bedeuten, dass sich dort angespültes Seegras und Standgut auftürmen. Eine touristische Infrastruktur fehlt zumeist.
  • »Kieselstrand« – Muss kein »Kiesstrand« sein, sondern kann aus verdammt großen Steinen bestehen. So groß, dass sie im Wasser kaum zu überwinden sind.
  • »regelmäßiges Unterhaltungsprogramm« – Das ist kein »tägliches« Programm, sondern findet oft nur einmal pro Woche statt. Ist schließlich auch regelmäßig.
  • »all-inclusive« – Kann durch die Reisebedingungen auf bestimmte Tageszeiten oder auf bestimmte Örtlichkeiten (etwa nur eine bestimmte Bar) eingeschränkt sein.
  • Außerdem noch beliebt sind kleine Augenwischereien bei der Angabe der Reisedauer: Eine als »10-tägige Reise« beworbene Reise bedeutet oft nur 8 echte Urlaubstage vor Ort sowie Anreisetag und Abreisetag.

 

Hat Ihnen dieses Kapitel gefallen? Dann bestellen Sie sich am besten gleich das Taschenbuch oder E-Book. Zum Selbstlesen oder als Geschenk!

Noch unschlüssig?
Hier finden Sie eine Liste aller Themen.

 

Zum Verschenken oder zum
Selbstlesen:

Das E-Book oder das
Taschenbuch.

Hier direkt bestellen