Das Leben genießen in vollen Zügen – Über die Bahn

Mit der Bahn zu fahren kann wunderbar entspannend sein. Vorausgesetzt, es gelingt uns, uns zu entspannen, was in der Bahn nicht immer einfach ist …

Geschafft! Nach einem anstrengenden geschäftlichen Termin sitze ich im Zug von Karlsruhe nach Stuttgart. Durch einen entschlossenen Spurt an die Spitze des Zuges habe ich mir einen der letzten freien Plätze gesichert. Mein Puls ist noch immer leicht erhöht, aber ich sitze und muss nicht wie so viele andere auf dem engen Gang stehen. Mit nur wenigen Minuten Verspätung fährt der Zug los. Noch immer quetschen sich Fahrgäste an den stehenden Menschen und Gepäckstücken vorbei.

»Willkommen im Intercity Benjamin Blümchen (oder so ähnlich) von Karlsruhe nach Salzburg über Stuttgart, Ulm, München, Rosenheim«, beginnt die obligatorische Durchsage des Zugführers. »Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass in diesem Zug das Baden-Württemberg-Ticket und das Quer-durchs-Land-Ticket nicht gelten.« Das Gesicht eines mir gegenübersetzenden jungen Mannes wird plötzlich blass. »Bitte beachten Sie, dass …«, beginnt der nächste Satz. Oh weh! Wer häufiger mit der Bahn unterwegs ist, weiß: Diese Formulierung bedeutet nichts Gutes. »Bitte beachten Sie, dass aufgrund eines Softwarefehlers heute im Zug keine Sitzplatzreservierungen ausgewiesen sind. Bitte geben Sie gegebenenfalls Ihren Platz an Platzkarteninhaber frei.«

Nein! Das ist jetzt nicht wahr! Jetzt sitze ich glücklich hier und mein Platz ist vielleicht reserviert? Womöglich von irgend so einem Schnösel in Business-Klamotten, der hier nur sitzen will, um am Handy gewichtig mit seiner Firma zu telefonieren. Und alle müssen zuhören. Warum denke ich immer so negativ? Das beschwört nur Unheil herauf. »Entschuldigen Sie, ich habe diesen Platz reserviert«, höre ich es prompt neben mir. Ich wusste es und blicke nach oben. Da steht er. Frisch gestylt und eingeölt wie ein ägyptischer Pharao kurz vor seiner Mumifizierung. Ich seufze und erhebe mich. Pech gehabt. Arschkarte gezogen.

»Grüß Gott. Die Fahrscheine bitte.« In diesem Moment betritt der Zugbegleiter den Wagen. Blitzartig steht der junge Mann, der eben so blass wurde, auf und verlässt fluchtartig den Wagen in die andere Richtung. Des einen Leid, des anderen Freud. Schon habe ich wieder einen Sitzplatz! Der Schnösel hat inzwischen schon sein Handy in der Hand. Es geht um irgendwelche Messekontakte. Ach wie schön, dass ich nicht so wichtig bin wie er. Nachdem die Fahrkarten kontrolliert sind, schließe ich meine Augen, schlummere ein wenig und denke an meine letzte Bahnfahrt nach Österreich zurück. Ja, die Österreicher, die haben’s drauf! Vor der Abfahrt meines Zugs in Graz kam die Durchsage, wohin der Zug fährt und welche Fahrkarten gelten, doch glatt vor der Abfahrt und nicht erst hinterher, wie bei uns. Wer dort im falschen Zug saß oder die falsche Fahrkarte hatte, konnte also noch rechtzeitig aussteigen.

»Sehr geehrte Damen und Herren, in wenigen Minuten erreichen wir Stuttgart Hauptbahnhof.« Die Zeit verging ja wie im Flug. Ich stehe auf und reihe mich in die Warteschlange in Richtung Ausgang ein. Zum Umsteigen bleibt mir nicht viel Zeit, aber heute wird es klappen. Plötzlich ein Rucken. Der Zug bremst scharf ab und bleibt stehen. Schließlich eine Durchsage: »Meine Damen und Herren, die Einfahrt des Zuges in den Bahnhof wird sich noch um wenige Minuten verzögern. Wir bitten noch um etwas Geduld.« Ich kann den Bahnhof schon sehen. Zehn Minuten später kann ich auch meinen Anschlusszug sehen, wie der den Bahnhof verlässt. Weitere 10 Minuten später fährt unser Zug endlich im Schneckentempo in den Bahnhof ein. Ich steige aus: Stuttgart 21. Realität 1900.

 

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