Und pass auf, dass du nicht frierst! – Über Kälte und Erkältungen

Das Ammenmärchen von der durch Frieren und Kälte ausgelösten Erkältung hält sich so hartnäckig wie kaum ein anderer Aberglaube …

Manche Wörter haben das Zeug, einem immer den Spaß zu verderben. Zum Beispiel das Wort »Erkältung«.

Zurück in den 1970er Jahren: Ich besuche noch den Kindergarten. Heute machen wir einen Ausflug in den nahegelegenen Park. Es hat geschneit, und wir wollen Schneemänner bauen. Damit ich mich dabei nicht erkälte, hat mir meine Mutter extra meine dicke Schalmütze mitgegeben, ein dunkelbraunes Ungetüm aus dicker, grober Wolle. Die Mütze lässt nur das Gesicht frei und umschließt ansonsten Kopf und Hals vollständig. Es ist ungefähr so eine Mütze, wie sie gerne für Banküberfälle verwendet werden – nur eben aus Wolle. »Und zieh unbedingt die Mütze auf, damit du dich nicht erkältest!«, ermahnt mich meine Mutter extra noch zum Abschied.

»So, wir ziehen uns alle an!«, ruft die Erzieherin. »Handschuhe und Mützen nicht vergessen!« Also ziehen wir uns an. Obwohl ich meine Mütze hasse, kommen mir keine Sekunde Zweifel daran, das zu tun, was meine Mutter und die Erzieherin gesagt haben. Also rein in das schreckliche Ding. Anfangs sitzt die Mütze noch etwas schief und bedeckt halb mein rechtes Auge, aber irgendwann rutscht sie dann doch noch in die richtige Position. Meine Haare wandern mit, was ein leichtes unangenehmes Ziehen verursacht.

Bis alle Kinder mit dem Anziehen fertig sind, dauert es eine gefühlte Ewigkeit. Mir wird langsam warm unter meiner Mütze. Irgendwann geht es dann aber doch los. Die kühle frische Luft tut gut, aber kaum im Park angekommen, toben wir so herum, dass mir wieder warm wird. Richtig warm. Heiß. Sehr heiß. Unerträglich heiß. Heute würde ich mir unter diesen Bedingungen die Kleider vom Leibe reißen, aber damals war ich noch brav. Meine Schalmütze klebt auf meinen schweißnassen Haaren. Der Hals juckt unerträglich unter der groben Wolle. Ich reibe mit meinen Handschuhen auf der Mütze hin und her, was das Jucken nur noch verstärkt. Durch das Reiben und Ziehen dehnt sich die Mütze und rutscht mir wieder über mein Auge. Spaß macht das Spielen schon lange nicht mehr.

Gott sei Dank hat die Qual irgendwann ein Ende und es kommt das Kommando zum Aufbruch. Zurück im Kindergarten dürfen wir uns endlich wieder ausziehen. Ich bin klatschnass geschwitzt. Beim Abstreifen der Mütze sprühen die Funken. Im Dunkeln würde ich vermutlich leuchten wie eine Wunderkerze. Es ist ein Genuss, wieder die kühle, sauerstoffhaltige Luft am Kopf und am Körper zu spüren.

Die nächsten Stunden zittere und friere ich, denn meine nass geschwitzte Kleidung trocknet nur langsam. »Und, wie war es heute?«, fragt mich meine Mutter, als sie mich wieder abholt. »War es sehr kalt draußen?«

Nachtrag: Erkältung bekam ich an diesem Tag keine. Die kam zwei Wochen später, nachdem ich meiner verschnupften Tante artig zur Begrüßung die Hand geben musste. Erkältungen sind nun eben mal Virus-Erkrankungen und haben rein gar nichts mit Kälte zu tun, wie uns der Name leichthin suggeriert. Man hat sogar schon Experimente gemacht, in denen man Soldaten bewusst frieren und durch kaltes Wasser laufen ließ. Diese Soldaten wurden nicht häufiger krank als eine Vergleichsgruppe, die nicht frieren musste. Aber vermutlich werden noch Generationen von Kindern ähnliche Qualen durchleben müssen, wie ich damals.

Aufgrund meiner traumatischen Kindheitserlebnisse in dieser Richtung habe ich mich selbst übrigens inzwischen erfolgreich von der Erkältungsangst befreit. Ich kann das nur empfehlen. Wenn andere schwitzen oder hinter verschlossenen Fenstern sitzen, lasse ich mir den kühlen Wind um den Körper wehen. Wie kann das herrlich sein! Meinem eigenen Sohn überlasse ich die Entscheidung selbst, ob er eine Mütze tragen möchte oder nicht. Erstaunlicherweise tut er es meist freiwillig, wenn es wirklich nötig ist. Die gelegentlichen strafenden Blicke anderer Leute ertrage ich mit Fassung.

Nein, er hatte noch keine Mittelohrentzündung.

 

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